Floskeln im Arztbrief und was sie bedeuten (sollen)

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In vielen Arztbriefen hat sich ein merkwürdiger Stil eingebürgert: ungewöhnliche Fremdwörter und medizinischer Jargon dominieren den Text. Floskeln wie „in domo“, „die Antibiose etablieren“ oder „C2-Abusus“ kennt jeder Stationsarzt. Aber ist das guter Stil? Die häufigsten und Floskeln und Jargon-Begriffe im Arztbrief und was sie bedeuten zeigen wir in dieser Liste. 👉Direkt zur Liste.

Soll Ihr Arztbrief professionell, präzise und gut verständlich sein? Dann gilt: Jargon und Fremdwörter bitte vermeiden. Einfaches, direkt verständliches Deutsch ist gefragt, weil das dem Leser am meisten nützt. Weitere wichtige Grundregeln für den Arztbrief stehen hier.

Was sind die häufigsten Floskeln im Arztbrief und wie vermeidet man sie?

Anglizismen im Arztbrief

Tapern und Weanen

„Die Steroide wurden getapert“. Verstehen Sie das? Wenn ja, schreiben Sie vermutlich schon länger Arztbriefe und kennen den Arzt-Jargon gut. To taper heißt: verjüngen oder schrittweise reduzieren. Gern wird auch benutzt: Steroide oder Beatmung weanen. Eigentlich gibt es keinen Grund, diese Verben aus dem Englischen zu übernehmen. Besser verständlich ist: „Prednisolon wurde schrittweise reduziert“. Das ist fast genauso kurz und jedem Deutsch-Muttersprachler unmittelbar verständlich.

Falsche Freunde (false friends)

Anglizismen anderer Art sind Fehlübersetzungen (false friends) wie „Ventilator-assoziierte Pneumonie“ (von ventilator associated pneumonia) oder Butstrominfektion (von blood stream infection). Jeder Arzt sollte in seinen Briefen aufpassen, dass er nicht zum Übersetzer wird – das kann schief gehen! Der Ventilator ist im Deutschen keinesfalls das Beatmungsgerät wie auf Englisch, sondern dient zur Abkühlung im Sommer.

Beliebt im Arztbrief ist das Adjektiv mild. Auf deutsch heißt mild: sanft, zart, angenehm – und ist eindeutig positiv belegt. Kann es dann eine „milde Hypokaliämie“ geben? Gemeint ist: gering oder klein. Englisch mild heißt: leichtgradig, gering.

Geht es noch seltsamer? Es geht: „Nippel-sparende Mastektomie“ steht in manchem Arztbrief aus der plastisch-ästhetischen Chirurgie. Gemeint ist, dass die Brustwarze (engl. nipple) bei einem Eingriff geschont wurde: nipple-sparing mastectomy.

Der einfache Grundsatz bei englischen Begriffen im Arztbrief ist: im Zweifel sag es auf deutsch. Die Leser werden den Brief besser verstehen und man riskiert nicht, sich mit schiefen Übersetzungen zu übernehmen.

Hier fehlt eine Arztbrief-Floskel oder eine unverständliche Wendung? Schreib’s unten in die Kommentare!

Unnötiges Latein und Griechisch

In domo und in toto, auf jeden Fall aber infaust

Beim Lesen von Arztbriefen braucht man manchmal ein Wörterbuch. Unnötige Fremdwörter, meist Latein und Griechisch sind häufig. „Wiedervorstellung in zwei Monaten in domo zur Koronarangiografie“ soll heißen: Wiedervorstellung bei uns im Haus. Also auch nicht mehr als: „hier“ oder „bei uns“.

Die meisten Ärzte können nur wenige Brocken Latein, besonders die Jüngeren. Warum schreibt man dann lateinisch und nicht gleich deutsch? Viele Ärzte lernen diesen Stil von ihren Kollegen und halten ihn für notwendig. Oft liegt das Bedürfnis zugrunde, im Arztbrief besonders gebildet und professionell zu erscheinen. Durch unnötige Fremdwörter wird aber eher das Gegenteil erreicht. Und die Lesbarkeit leidet auch. Denn jeder Wechsel der Sprache im Text stört den Leser.

Das gilt genauso für in toto (im Ganzen) oder quoad vitam (bezüglich der Erhaltung des Lebens). Selten geworden ist „ad tabulam verbleibend“ (auf dem OP-Tisch verstorben). Auf die Spitze treibt es der universitäre Arztbrief über einen Schlaganfall mit „die Prognose ist quoad restitutionem et integrum infaust“. Infaust heißt unheilvoll oder praktisch: unheilbar. Der Schreiber will sagen: der vorherige Zustand wird vermutlich nicht wieder erreicht werden. Auf deutsch versteht es jeder sofort und es wird auch klar: der Sachverhalt ist vermutlich gar nicht so kompliziert.

Screenshot eines Arztbriefes mit der Floskel "Die ausführliche Vorgeschichte dürfen wir freundlicherweise als bekannt voraussetzen"
Tausendfach steht es so in Arztbriefen: den Leser ärgert es nur, wenn die Vorgeschichte vorausgesetzt wird. Lieber kurz zusammenfassen! In diesem Fall handelte es sich sogar um den ersten Brief in diesem Krankenhaus. Vorausgegangene Briefe gab es gar nicht.

Mediziner-Jargon

AZ-Verschlechterung

Die richtige Diagnose zu stellen ist oft eine Kunst oder zumindest ein mühsames Handwerk. Viel einfacher ist es, im Arztbrief die Diagnose „AZ-Verschlechterung“ zu notieren. AZ steht für Allgemeinzustand – aber was ist das? In vielen Fällen ist einfach der Eindruck gemeint, den der Arzt vom Patienten hat. „Aufnahme mit AZ-Verschlechterung“ heißt also im Grund nur: ein Patient kommt, weil es ihm schlechter geht. Eine Diagnose ist das nicht. Oft kann man es informativer und genauer schreiben: Worin besteht die Verschlechterung? Schwäche, Schmerzen, Luftnot, Abnahme der Mobilität oder der Vigilanz? Oder liegen sogar objektive Befunde für den schlechten Zustand vor? Fieber, Gewichtsabnahme, Tachypnoe, Gangstörung? All das lässt sich oft ohne große Mühe angeben. Man muss sich praktisch nie nicht mit dem „schlechten AZ“ zufrieden geben.

Die Häuslichkeit – gibt es fast nur noch im Arztbrief

Haben Sie schon einmal einen Patienten in die Häuslichkeit entlassen? Dann haben Sie den üblichen Arzt-Jargon schon verinnerlicht. Normales, kurzes Deutsch empfiehlt sich auch im Arztbrief. „Entlassung nach Hause“ ist genauso gut und kürzer als „in die Häuslichkeit“.

In der gleichen Liga spielt „wird in Ihre geschätzte ambulante Betreuung entlassen“. Das heißt auch nichts Anderes als „nach Hause“ – hat aber zusätzlich eine schmeichelnde Komponente, die nicht jede Hausärztin oder jeder Hausarzt gern mag. Schlimmer: der Informationsgehalt solcher Floskeln ist gleich null. Wie interessant wäre es, zu erfahren, wohin genau der Patient denn geht (Kurzzeitpflege? Reha? Betreutes Wohnen?). Oder wie wäre es mit einer kurzen Angabe zur Selbständigkeit? „Herr XY wird in Begleitung seiner Tochter fußläufig ohne Hilfsmittel nach Hause entlassen.“ Mit solchen Sätzen erhöht man den Informationsgehalt des Arztbriefes und damit auch den Nutzen. Viel Platz kostet das nicht.

Wenn der Patient es nicht verstehen soll: C2-Abusus

Welcher Stationsarzt kennt ihn nicht: den Abusus (Missbrauch). Meist kommt er als Nikotinabsus daher, gern auch als Alkohol- oder C2-Abusus. „C2“ soll die Kurzform von C2H5OH sein, der Summenformel (genauer: Halbstrukturformel) von Ethanol. Dieser Jargon ist herablassend und etwas überheblich. Er enthält auch eine Verschleierung oder Verklausulierung: Ärzte wollen damit nur unter sich verstanden werden, der Patient soll beim Lesen seines Arztbriefes also nicht auf den ersten Blick erfassen, dass ihm ein Alkoholproblem attestiert wird. Im Arztbrief hat dieser Slang aber nichts verloren. Korrekt wäre stattdessen z. B.: Schädlicher Tabakkonsum (oder -gebrauch), Alkoholabhängigkeit oder vielleicht Alkoholkrankheit.

Falsche Verben

Abdecker und Abklärer

Breit abdecken, dann durchuntersuchen und wenn nötig: eskalieren – diese Militärsprache ist im Arztbrief unangebracht. Wer durchuntersucht, abgedeckt oder abgeklärt wird, der ist mehr passives Werkstück als Patient. Ärzte sollten so weder schreiben noch denken.

Begriffe wie „antibiotisch abdecken“ sind zudem auch medizinisch fragwürdig. Der Stationsarzt wiegt sich in falscher Sicherheit („Ich habe einen Patienten ja breit abgedeckt!“). Aber was genau wird eigentlich behandelt? Sachlich falsch ist das Verb sowieso: Abdecker beseitigen Tierkadaver.

Ähnlich sieht es aus, wenn ein Arztbrief-Schreiber von abklären spricht. Abgeklärt ist vielleicht ein erfahrener Arzt, den nichts mehr umhaut. Soll aber ein Befund oder gar ein Patient abgekärt werden, so ist das schräges Deutsch. „Abklärung eines Gewichtsverlustes“ ist ungenau und heißt nur: Aufnahme wegen Gewichtsverlust. Gut wäre es dann die erhobenen Befunde kurz zusammengefasst würden.

Verben auf -ieren: immer Vorsicht

Vielen Ärzten fällt es schon fast nicht mehr auf: sie clexanisieren ihre Patienten und stören sich wenig an dieser Wortneuschöpfung, die fast nur in Arztbriefen vorkommt. Besser wäre: „Beginn mit niedermolekularem Heparin (bei uns: Enoxaparin)“, oder ähnlich. Gleiches gilt für marcumarisieren, digitalisieren und andere. Handelsnamen sollten im Arztbrief generell vorsichtig verwendet werden und nur zusammen mit dem Wirkstoff. Wenn ausnahmsweise ein bestimmtes Präparat keinesfalls durch eine wirkstoffgleiche Alternative ersetzt werden soll, muss dies ohnehin besonders hervorgehoben werden.

Unklare Adjektive

Diskret und prominent: im Arztbrief meist falsch benutzt

„Ein diskreter Pleuraerguss wurde nicht punktiert.“ So oder ähnlich steht es in hunderten Arztbriefen. Gemeint ist vermutlich ein kleiner Erguss. Diskret heißt: vertraulich, zurückhaltend. Ähnlich schräg ist die milde Hypokaliämie (siehe oben). Befunde sollte man so genau wie möglich angeben, zumindest groß – mittel – klein, gern auch mit Messwerten in Klammern.

Weitere Beispiele für ungenaue und schräge Adjektive:

  • Die prominente Venenstauung (ausgeprägt)
  • Die engmaschige Nachsorge (häufig, gründlich)
  • Die auffällige Leukozytose (erheblich, ausgeprägt)
  • Der rezente Artikel (neu, aktuell, vor kurzem erschienen)

Der vierstöckige Hausbesitzer: diesen Fehler machen auch Ärzte regelmäßig

Eine ganz eigene, schräge Marotte nicht nur im Arztbrief ist der vierstöckige Hausbesitzer. Also falscher Gebrauch eigentlich korrekter Adjektive. Im Arztbrief kommt dieser Fehler zum Beispiel so daher:

  • Chronischer Dialysepatient
  • Diabetisches Fußsyndrom
  • Chronisches Schmerzsyndrom

Gemeint ist natürlich: Patient mit chronischer Dialyse, diabetischer Fuß. Ein Adjektiv bezieht sich im Deutschen immer auf den letzten Teil eines zusammengesetzten Substantivs. Ist vom chronischen Schmerzsyndrom die Rede, denkt man: was ist ein „chronisches Syndrom“? Chronische Schmerzen reicht meist.

Arztbrief-Floskeln: die Liste

FloskelVerbesserung
abklärenklären
anamnestische BeschwerdenBeschwerden
ad tabulamZu Tisch oder am Tisch. Schreibt der Chirurg: ad tabulam verblieben, heißt das: (bei der OP) verstorben.
Antibioseantibiotische Therapie (mit … am …)
antibiotisch abdeckenMit einem breit wirksamen Antibiotikum auf Verdacht behandeln. Diese Wendung hat in der Schriftsprache nichts verloren. Abdecker beseitigen Tierkadaver.
Die Anamnese ist leer.Die Befragung des Patienten hat (hierzu) nichts ergeben.
ausschleichen / einschleichenSchräge Metapher. Schrittweise die Dosis reduzieren / steigern
AZ-VerschlechterungAllgemeinzustandsverschlechterung (Pseudo-Diagnose, da ungenau). Besser: Problem genau beschreiben: Belastungsdyspnoe? Kognitive Einschränkungen? Abnehmende Wachheit?
C2-AbususAlkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit
durchuntersuchenuntersuchuchen. Oder: Diagnostik kurz aufführen.
clexanisieren, marcumarisierenBeginn mit niedermolekularem Heparin (Clexane) bzw. einer oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon.
engmaschighäufig (besser: Angabe, wie häufig)
dezent, diskretFalsche Adjektive. Gemeinst ist: geringfügig, gering ausgeprägt
eskalieren, deeskalierenerhöhen, reduzieren, umstellen, erweitern
in domoWörtlich „im Hause“. Heißt soviel wie: der Eingriff wurde bei uns oder in unserem Krankenhaus durchgeführt.
in totoim Ganzen / vollständig
Häuslichkeit, Entlassung in dieEntlassung nach Hause. Auch interesant: in welchem Zustand? Mit welchen Hilfsmitteln?
Klinik: Aufgrund der typischen Klinik Beginn einer Therapie.Aufgrund der typischen Beschwerden.
mildFalse friend (von engl. mild). Gemeint ist: gering / geringfügig / klein.
oralisierenauf orale Gabe umstellen
prominentBesonders ausgeprägt / groß / stark
quoad vitam (nicht) bedrohlich(nicht) lebensbedrohlich / hat eine gute (schlechte) Prognose
Symptomatik, klinischeSymptome / Beschwerden (diese sind immer klinisch)
synkopierenEine Synkope erleiden (plötzlicher, spontan reversibler Bewusstseinsverlust durch vorübergehende zerebrale Minderperfusion)
tapernschrittweise reduzieren. Siehe weanen und ausschleichen
Vorgeschichte: Die ausführliche Vorgeschichte dürfen wir freundlicherweise als bekannt voraussetzen und verweisen auf die vorausgegangene KorrespondenzWeglassen. Vorgeschichte stattdessen kurz widergeben.
weanenschrittweise reduzieren (Beatmung / Medikamente)
…wird in Ihre geschätzte Weiterbehandlung entlassenwird entlassen (nach Hause, in die Reha, das betreute Wohnen…)
Zustand nach (Z. n.) AppendektomieAppendektomie 1998
Nahaufnahme von Text auf einem Monitor mit der Arztbrief-Floskel "in Ihre geschätzte Weiterehandlung entlassen".
Schmeichelei? Die Hausärztin oder der Hausarzt werden es schnell durchschauen. Die „Entlassung in Ihre geschätzte Weiterbehandlung“ ist eine überflüssige Floskel im Arztbrief.

Zum Weiterlesen:

Reiner W. Heckl, „Mit kollegialen Grüßen“
„Die Kommunikation optimieren“ (Unnewehr, M. und Kollegen)

Bildnachweis: Krakenimages.com – stock.adobe.com

Achim Jatkowski

Jahrgang 1984. Ist Arzt und arbeitet am Klinikum Stuttgart.

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